Ich erinnere mich noch genau an eine Szene in einem Projektreview: Auf der Leinwand prangte eine Zahl, die alle stolz machte – über 90 % Homes Passed im Ausbaugebiet. Es war die Zahl, auf die alle hingearbeitet hatten. Wochenlang ging es nur darum, die Meter zu machen, die Bauabschnitte zu schließen, die Planung abzuarbeiten.
Und dann stellte jemand die entscheidende Frage: „Und wie viele davon sind eigentlich schon Kunden?“
Plötzlich wurde es still im Raum.
Die Wahrheit ist: Ein Homes Passed ist noch lange kein Kunde. Und genau hier beginnt die eigentliche Herausforderung, die den Unterschied zwischen einem erfolgreichen Glasfasernetz und einer Investitionsruine ausmacht.
Warum der alte Rollout-Modus nicht mehr trägt
Im Rollout lebt man in einem ganz bestimmten Mindset: Geschwindigkeit, Volumen, Baufortschritt. Das ist auch richtig so – ohne diese Energie würden wir die Zielzahlen nie erreichen. Projektleiter jonglieren Baustellen, Dienstleister arbeiten im Akkord, jede Woche neue Gebiete im Reporting.
Doch dieses Setup ist nur für eine Phase optimiert: den schnellen Netzausbau.
(Hinweis: Jedes Unternehmen nutzt eigene Begriffe: der eine spricht vom initialen Ausbau, der nächste von Projekt- oder Bauphase, andere von Regelvermarktung, Betriebsphase, Nachanschlüssen oder einfach Kundenaktivierungen.)
Wenn es danach darum geht, Nachanschlüsse zu bauen – also Kunden, die nachträglich aktivieren wollen, nachdem der initiale Ausbau abgeschlossen ist – stößt dieses System an seine Grenzen.
Die Verantwortung ist zersplittert. Mal kümmert sich ein Projektleiter darum, mal ein Vertriebsteam, mal ein externer Partner.
Prozesse sind auf einmalige Bauprojekte ausgelegt, nicht auf kontinuierliche Kundenanbindung.
Inhouse-Verkabelung, Tiefbau, Materialbereitstellung – jedes Puzzlestück liegt in einer anderen Einheit.
Das Ergebnis: kein Lerneffekt, keine Routine, kein System. Jeder Nachanschluss fühlt sich an wie ein Sonderprojekt, selbst wenn der Vorgang tausendfach vorkommt.
Der blinde Fleck: Nachanschlüsse brauchen andere Fähigkeiten
Ich habe über die Jahre gelernt: Der Rollout ist ein Projekt, die Kundenaktivierung ist eine Fabrik.
Während im Rollout das Projektmanagement dominiert, braucht es in der Betriebsphase ein ganz anderes Set an Fähigkeiten:
Standardisierung statt Einzelfalllösung
gebündelte Ressourcen statt fragmentierte Zuständigkeiten
klare Verantwortlichkeiten statt Projekt-Hopping
Es reicht nicht, irgendwo einen Projektleiter hinzuschicken, der „mal eben“ ein paar Nachanschlüsse organisiert. Kundenaktivierung funktioniert wie eine Fabrik: immer gleiche Abläufe, klare Schnittstellen, Wiederholungseffekte.
Genau das ist der blinde Fleck vieler Organisationen. Sie versuchen, Nachanschlüsse mit demselben Setup zu managen wie den Rollout – und wundern sich, dass die Kosten explodieren, die Prozesse stocken und die Kunden unzufrieden sind.
Die Grenzen von Projektmanagement und Toolset
In vielen Unternehmen dominiert nach wie vor das Projektmanagement-Mindset: Gantt-Charts, Meilensteine, Einzelprojekte. Das ist ein starkes Werkzeug für Bauprojekte, aber es stößt an harte Grenzen, sobald es um kontinuierliche Massenprozesse geht.
Ein Beispiel: Ein Projektleiter plant einen Straßenzug mit 50 Haushalten. Das läuft. Aber was passiert, wenn ein halbes Jahr später 5 dieser Haushalte einen Anschluss wollen?
Der Projektleiter ist längst im nächsten Bauabschnitt.
Der Dienstleister hat keine dedizierten Teams mehr vor Ort.
Das Toolset ist auf „Projektabschluss“ getrimmt, nicht auf Nachzügler.
So entsteht ein absurdes Bild: Für ein paar Hausanschlüsse wird der ganze Apparat wieder hochgefahren – mit Kosten und Aufwand, die in keinem Verhältnis stehen.
Das ist so, als würde man für jede einzelne Bestellung im Online-Shop ein komplett neues ERP-System starten. Völlig unpraktisch – und nicht skalierbar.
Fragmentierung als Wachstumsbremse
Die organisatorische Realität verschärft das Problem. Oftmals sind die Aufgaben auf zu viele Einheiten verteilt:
Projektleiter, die Nachanschlüsse nebenbei mitlaufen lassen.
Spezialteams für Inhouse-Verkabelung, die woanders aufgehängt sind.
Vertriebseinheiten, die Verträge abschließen, aber keine Verantwortung für die Umsetzung tragen.
Dazu kommen externe Dienstleister, die schon im Rollout Schwierigkeiten hatten, ihre Ressourcen zu skalieren – und die bei kleinen, unplanbaren Nachanschlussmengen endgültig überfordert sind.
Das Ergebnis: Fragmentierung statt Fokussierung. Niemand baut echte Kernkompetenz auf. Statt Routine und Effizienz entsteht ein Flickenteppich aus Zuständigkeiten, Sonderlösungen und Reibungsverlusten.
Das Fabrik-Mindset als Ausweg
Was stattdessen gebraucht wird, ist eine konsequente Umstellung auf ein Fabrik-Mindset. Nicht im Sinne von „Fließband“, sondern im Sinne von klaren Prozessen, Wiederholung und Standardisierung.
Ein paar zentrale Elemente:
Kundenaktivierung als eigener Kernprozess – nicht als Nebenprodukt des Rollouts, sondern als eigenständige Disziplin mit klarer Verantwortung.
Bündelung der Ressourcen – interne Teams und externe Partner arbeiten nicht mehr fragmentiert, sondern integriert auf denselben Prozess.
Standardisierung der Abläufe – gleiche Schnittstellen, gleiche Tools, gleiche Vorgehensweise – egal, ob es um 5 oder 500 Nachanschlüsse geht.
Nutzung von Lernkurven – jeder Anschluss wird nicht nur gebaut, sondern dient als Input, um den nächsten effizienter zu machen.
Das ist es, was ich mit „Glasfaser-Fabrik“ meine: eine Organisation, die Nachanschlüsse nicht als Sonderfälle behandelt, sondern als planbaren, skalierbaren Kernprozess.
Was passiert, wenn man nicht umstellt
Ich habe leider zu viele Beispiele gesehen, wo Unternehmen diesen Schritt nicht gegangen sind. Die Folgen sind absehbar:
Kunden warten Monate auf ihren Anschluss, obwohl das Netz längst vor der Tür liegt.
Dienstleister springen ab, weil sie mit den kleinteiligen Mengen nichts anfangen können.
Kosten explodieren, weil jeder Nachanschluss wie ein neues Projekt behandelt wird.
Und das Schlimmste: Die Wirtschaftlichkeit des Netzes kippt, weil die Take-up-Rate nicht hoch genug kommt.
Ein Netz ohne Kunden ist wie ein Flughafen ohne Flüge: beeindruckend anzusehen, aber finanziell wertlos.
Die unerwartete Chance im Übergang
Das klingt überraschend– aber es gibt auch eine gute Nachricht. Wir stehen gerade in einer Übergangsphase: Der Rollout läuft noch, aber gleichzeitig werden die ersten Gebiete in den Betrieb überführt.
Genau hier liegt eine große Chance.
Wer jetzt die verbleibenden Rollout-Mengen clever nutzt, kann zweierlei erreichen:
Auslastung sichern – die Teams bleiben beschäftigt, statt ins Leere zu laufen, sobald der Rollout abflacht.
Lernkurven aufbauen – die Organisation kann sich schrittweise auf Kundenaktivierung umstellen, statt in ein Vakuum zu fallen.
Man könnte sagen: Die letzten Meter des Rollouts sind das Trainingslager für die Nachanschluss-Fabrik. Wer diese Chance verpasst, wird später teuer und mühsam nachjustieren müssen.
Was du daraus mitnehmen kannst
Wenn du aktuell noch mitten im Rollout steckst, frag dich schon heute:
Wer ist bei uns wirklich verantwortlich für die Kundenaktivierung – durchgängig, von der Nachfrage bis zur Inhouse-Verkabelung?
Sind unsere Ressourcen gebündelt genug, um Skaleneffekte zu erzeugen?
Wo können wir Standards einziehen, statt jedes Mal neu zu erfinden?
Denn eines habe ich immer wieder gesehen: Am Ende wird nicht das Netz gefeiert, sondern die Zahl der Kunden im Netz.
Ausblick: Von der Bauorganisation zur Betriebsorganisation
Der Schritt von der Bauorganisation zur Betriebsorganisation ist vielleicht die größte unsichtbare Transformation im Glasfaserausbau. Er entscheidet darüber, ob die Milliardeninvestitionen am Ende Rendite bringen – oder ob die Branche in einer Endlosschleife von Projekten steckenbleibt.
Nachanschlüsse sind dabei der Lackmustest: Wer sie effizient, schnell und skalierbar baut, hat den Übergang geschafft. Wer sie im alten Projektmodus abwickelt, wird dauerhaft kämpfen.
Einladung
Wir beraten Glasfaserunternehmen dabei, Rollout- und Kundenaktivierungsprozesse skalierbar aufzubauen. Meldet euch gern – und über eine Empfehlung freue ich mich natürlich auch!
Ansonsten
Wie organisiert ihr aktuell Nachanschlüsse? Eher noch im alten Rollout-Modus – oder schon mit dem Blick auf eine skalierbare Fabrikorganisation?
Lass uns genau darüber austauschen. In der FiberOS Community diskutieren wir diese Fragen im Detail und entwickeln gemeinsam Modelle, wie die nächste Phase des Glasfaserausbaus aussehen kann.
LG Oliver