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Ist eure Take Rate zu schlecht?
Der Kunde ist nicht der Kunde, sondern das Produkt und Glasfaseranbieter haben den Kern ihres Geschäfts nicht im Verstanden.
Wellen von Entlassungen stehen sogar bei den Glasfaserunternehmen an, die bis vor kurzem noch zur "ersten Liga" gezählt hatten. Einer der Gründe ist die (zu) geringe Take Rate, also zu wenige Kunden auf den Glasfasernetzen. Doch was hat es damit auf sich?
Eine einzelne Glasfaser Marke kann alleine (aus meiner Sicht) nur bis zu etwa 40-50% Auslastung erreichen. Manche Kunden wollen einfach bei einem anderen Anbietern sein. Dies aus den verschiedensten Gründen. Deswegen brauchen wir Wholesale-Kunden, um die restliche Auslastung zu bewältigen. Die Situation ist im Detail bei allen Glasfaserunternehmen unterschiedlich, aber im Kern gleich.
In ländlichen Gebieten werden Vermarktungsquotenschnell von 30-40% erreicht. Ich behaupte, die tatsächliche Quote ist niedriger, aber die kommunizierten Zahlen variieren je nach Quelle zwischen 30 und über 40%. Also nehmen wir an, dass dies stimmt.
Weniger mutig sind die Antworten auf eine andere Frage. Wie viele der 30 bis über 40% der Kunden wirklich angeschlossen (oder aktiviert) sind, also tatsächlich zahlen. Hier werden meist keine Zahlen genannt, wahrscheinlich weil viele Unternehmen es nicht schaffen, nach 2-3 Jahren im Rollout in bestimmten Gebieten mehr als 10% zu erreichen. Diese Zahl ist geschätzt und könnte komplett falsch sein. Kommentare mit genaueren Zahlen sind willkommen.
Bei der "Homes Passed First"-Strategie ist es das oberste Ziel, die Zustimmung der Gemeinden und eine hohe Zahl an Vorverträgen zu erhalten. Wir befanden uns in einer Welt, in der Vertriebsziele von 100% ausgesprochen werden. Dennoch gerät zunehmend in finanzielle Schwierigkeiten.
"Wir müssen die Glasfaser sexy machen"
...war eines der Hauptthemen des von Jens Böcker wunderbar moderierten Panels vor einigen Wochem im TEC | Telecommunications Executive Circle
Leider spielt die Antwort auf die Frage, wie wir die Auslastung bei unseren FTTH-Netzen erhöhen können, überhaupt keine Rolle.
Letztlich zeigt der fast einstündige Versuch, darauf eine intelligent klingende Antwort zu finden, wie wenig wir unser FTTH-Geschäft in Wirklichkeit verstanden haben.
90% derer die sich für einen FTTH Anschluss entschieden haben, warten immer noch auf die Schaltung. Antworten wie "wir müssen die Latenz von 1ms besser vermarkten" interessieren diese Kunden nicht. Diese Kunden keine zusätzliche Nachhilfestunde darin wie zukunftssicher sein Anschluss ist. Sie wollen einfach ihren Anschluss geschaltet bekommen.
Die Latenz ist für 99% der Bevölkerung völlig irrelevant. Für die 1%, die sich dafür interessieren, ist die Varianz der Latenz ("Jitter") vermutlich dann wichtiger. Aber so weit gehen die Diskussionen meist nicht, denn dann wäre man in der Welt von Edge Computing und Co.
Latenz ist bestenfalls ein Qualitätsindikator. Dieser ist dann auch nur für eine in der Bevölkerung kaum messbare Nische relevant. Internet ansich ist ansonsten ein commodity Produkt.
Für alle Anwesenden des TEC: Ich weiß, dass ich die Diskussion extrem verkürze und nur auf diesen einen Aspekt fokussiere. Aber bitte bleiben Sie dran, dann wird meine Perspektive klarer. Keine Sorge, am Ende werde ich alle relevanten Punkte noch einmal aufgreifen.
Der Kunde ist nicht der Kunde, sondern Teil des Produkts
Das FTTH-Produkt besteht aus einer Service-Komponente und einer "Internet"-Komponente. Solange die Wohneinheit nicht angeschlossen ist, besteht das FTTH-Produkt zu in Gänze aus Service. Der Hausanschluss und die Netzebene 4 sind elementare Bestandteile des Produkts. Ohne diese letzten Schritte funktioniert der FTTH Internetanschluss nicht.
Hier müssen wir einfach ehrlich sein: Wir haben kein attraktives Produkt. Wir haben ein katastrophal schlechtes Produkt. Niemand würde jemals wieder einen VDSL-Anschluss bei einem Provider buchen, wenn er vorher 36 Monate warten müsste.
Die ehrliche Antwort auf die Take Rate Problematik lautet: Der Kunde ist in Wahrheit das Produkt und nicht der Kunde. Dies ändert sich , wenn die betroffene Wohneinheit an das Glasfasernetz angeschlossen wurde. Vorher jedoch nicht.
Erst wenn alle notwendigen Netzelemente für den FTTH-Anschluss fertigstellt wurden, gilt auch unser klassisches Kundenverständnis wieder. Dies bedeutet PoP, Verteilnetz, Hausanschluss, NE4 und bei Bedarf NE5.
In dieser Welt befinden wir uns jedoch (noch) nicht. Entweder ist die Wohneinheit noch nicht angeschlossen oder der Kunde befindet sich in einer Vertragslaufzeit.
In vielen Fällenwarten Kunden jahrelange auf den Anschlusses. Dies ist einfach eine schlechte Produkterfahrung. Hier müssen wir ehrlich sein, bevor es weitergehen kann.
Die Glasfaser muss nicht attraktiv werden, und wir müssen auch nicht über eine Kupferabschaltung sprechen. Wir brauchen einfach ein besseres Produkt. Oder anders gesagt: Die Glasfaseranbieter und Bauunternehmen müssen besser werden.
Die "Homes Passed First"-Strategie ist tief bei Glasfaseranbietern und Tiefbauern verankert. Sie erfüllt genau ihren Zweck: Homes Passed. Jedoch in Bezug auf Kundenschaltungen produziert sie schlechte Ergebnisse. Sie führt zu einem schlechten Produkt.
Kundenschaltungen müssen in den Mittelpunkt der Glasfaseranbieter rücken. Dabei nicht nur als KPI womit die Teams neuerdings gemessen werden. Es geht darum Strategie, Konzepte und Partnerschaften auf Kundenschaltungen zu konzentrieren.
Falls du zu diesem Thema mehr erfahren möchtest dann melde dich gerne bei der Fiber School an. Nebe mehrstündigen Inhalten im Videoformat kannst du mit mir persönlich eine Stunde pro Woche über Themen dieser Art diskutieren. Ich freue mich auf dich! https://www.skool.com/fiber-school-4787/about
Mein Fazit zur Erhöhung der Take Rates:
Arbeite nicht daran, höhere Take Rates zu bekommen, sondern werde ein besserer Glasfaseranbieter. Die Erhöhung der Take Rate folgt automatisch, sobald du ein gutes Produkt hast. Der Kunde nicht der Kunde, sondern das Produkt. Die erstmalige Kundenschaltung (Hausanschluss & Ne4) ist Bestandteil des Produkts. Das müssen die Anbieter verstehen.
Investiere in ein gutes Produkt: Egal welche Wartezeiten eure Anschlüsse heute haben, diese müssen mindestens halbiert werden.
Verlasse das "Turn Key"-Mindset als Glasfaseranbieter: Du musst die Prozesse deiner Fiber Factory verstehen, gestalten, kontrollieren und eingreifen. Der Rückzug auf "ich source alles aus" ist veraltet.
Überarbeite deine Konzepte: Konzepte beginnen immer beim Endkunden (Hausanschluss oder NE4) und niemals beim Backbone. Triff schlechte Entscheidungen für dein Backbone, damit der HA- oder NE4-Prozess einfacher funktioniert.
Egal was du tust: Handle mit deinen Partnern und Mitarbeitern auf Augenhöhe.
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Ich weiß, dass es einfacher ist, einer Agentur noch ein paar Millionen für eine schickere Marketingkampagne zu zahlen oder den Vertrieblern bessere Provisionen zu bieten. Ich möchte weder dem einen noch dem anderen einen Auftrag wegnehmen.
Aber am Ende bleibt: Wenn du nicht akzeptierst, dass der Kunde nicht der Kunde, sondern Teil des Produkts ist und der andere Teil des Produkts schlecht ist, dann wird sich leider nichts verändern.
"Mensch Oli, was ist denn mit den anderen Gründen, die von den ganzen Experten vertreten werden?"
Keine Sorge. Hier eine kurze Zusammenfassung der klassischen Punkte, die wichtig sind, aber euch leider nicht weiterhelfen werden.
Einfamilienhaus: Relativ gute Take Rate. Hier spielt die Problematik der langen Wartezeit eine große Rolle.
Mehrfamilienhaus: Hier schlägt die WoWi-Komplexität zu, und die meisten Glasfaseranbieter haben kein NE4-Konzept.
Vertrieb I: Image Door-to-Door-Vertrieb (D2D): D2D-Vertrieb ist extrem wichtig für die Auslastung. Jedoch hat das Image und dadurch auch das FTTH-Image stark durch schlechtes Verhalten gelitten. Hier müssen wir besser werden.
Vertrieb II: Online-Vertriebskanal: Unterrepräsentiert. Hier liegt noch eine große Chance für die meisten Anbieter. Besonderer Vorteil: kostengünstig
Wholesale: Wenn du als Glasfaseranbieter auf 60, 70, 80% Auslastung im großen Maßstab kommen musst, brauchst du Wholesale-Kunden im Netz. Eine Marke alleine reicht nicht aus.
Pricing I:Hausanschluss: Muss immer kostenlos sein. Ansonsten schaffst du falsche Anreize, besonders für Wholesale-Kunden aber auch für Endkunden. Das Buchen eines Glasfaseranschlusses darf nicht zum taktischen Wartespiel werden.
Pricing II: Alternative Preismodelle: Lass den Kunden doch 2.000 EUR bezahlen und er erhält 100 MBit/s lebenslang kostenlos. Plötzlich hast du eine reale Value Proposition.
Abschaltung Kupfernetz: Eine interessante Diskussion, aber wie soll die Migration gelingen, wenn wir es nicht mal schaffen, in wenigen FTTH-Gebieten 30% der Wohneinheiten an das Netz zu schalten? 100% in ganz Deutschland? Das ist für den Moment unrealistisch und eher ein Thema für 2040 und darüber hinaus. Die Frage, wie dies gelingen kann, ist jedoch hochgradig wichtig.
In diesem Sinne viel Spaß beim Brainstorming, was du davon für deinen Glasfaseranbieter umsetzen kannst.
Falls du zu diesem Thema mehr erfahren möchtest dann melde dich gerne bei der Fiber School an. Nebe mehrstündigen Inhalten im Videoformat kannst du mit mir persönlich eine Stunde pro Woche über Themen dieser Art diskutieren. Ich freue mich auf dich! https://www.skool.com/fiber-school-4787/about